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Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

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Andacht zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

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„Liebe Kitty!“ - Auszug aus dem Tagebuch der Anne Frank vom 21. Juli 1944

Dies ist der vorletzte Tagebucheintrag von Anne Frank. Am 4. August 1944 wurden Anne und ihre Familie von der Gestapo verhaftet und am 2. September nach Auschwitz deportiert. Am darauffolgenden Tag wurden die Familienmitglieder nach Männern und Frauen getrennt. Sie haben sich als Familie nie wieder gesehen. Alle Kinder unter 15 Jahren wurden gegen Kriegsende direkt in die Gaskammern verbracht. Anne entging diesem Schicksal, da sie vor drei Monaten 15 Jahre alt geworden war. Überlebende beschreiben das Mädchen als starke Persönlichkeit, die einen unbändigen Lebenswillen hatte.

Doch die katastrophalen hygienischen Verhältnisse im Lager Auschwitz- Birkenau wurden ihr und ihrer Schwester Margot schließlich zum Verhängnis. Die jungen Frauen infizierten sich mit Krätze und wurden fortan isoliert, bis sie am 1. November 1945, von der Mutter getrennt, nach Bergen-Belsen überstellt wurden. Auch dort herrschten fürchterliche hygienische Zustände. Anne und ihre Schwester infizierten sich vermutlich auch noch mit Typhus. Das war im März '45. Zuerst starb Margot Frank und wenige Tage später Anne, an Krankheit und Unterernährung. Kaum einen Monat später wurde Bergen-Belsen von britischen Truppen befreit.

Was ist Leid? Wenn ich mir Anne Franks Geschichte vor Augen führe, wird zumindest mir ganz klar: Viele von uns klagen derzeit auf ziemlich hohem Niveau. Die Allgemeinheit scheint jedwede Relation völlig verloren zu haben. Ist es tatsächlich Leid, nicht in sein Lieblingsrestaurant gehen zu können?

Ist es Unfreiheit, nicht mal eben ins Kino oder ins Theater gehen zu können? Anne Frank war wirklich eine Gefangene, ab Juli 1942, wo sie und ihre Familie sich versteckt hielten bis zu ihrem Tod im KZ.

Was mich wirklich ärgert: Wir werfen uns derzeit Zahlen und Fakten um die Ohren, als gäbe es kein Morgen. Politiker und Experten – tatsächliche und sogenannte – machen es uns vor; in sämtlichen Medien wird uns vorgerechnet: die Anzahl der Toten, die Anzahl der intensivmedizinisch Betreuten, die Anzahl der Infizierten. Doch hinter diesen Zahlen stecken menschliche Schicksale und Persönlichkeiten. Davon jedoch kein Wort.

Es wird suggeriert, dass Sterben an Covid eine Zumutung wäre; nein, Sterben an diesem Erreger ist mittlerweile illegal geworden. An anderen Ursachen darf gestorben werden, nicht aber an Corona!
Für die Angehörigen spielt das jedoch keine Rolle. Es spielt keine Rolle, woran ein nahestehender Mensch stirbt; dass er stirbt bringt das eigene Leben aus den Fugen. Angehörige sind nicht trauriger, weil jemand an Covid gestorben ist. Sie sind nicht weniger traurig, wenn er an Krebs oder durch einen Unfall stirbt.

Wir müssen aufhören, einem 90jährigen nachzutragen, dass er sich mit dem neuen Virus infiziert hat und in Folge dessen sein Leben beendet. Wir tragen es diesen Menschen nach, dass sie sterben – wie können sie es nur wagen! Und die logische Konsequenz für so viele: den Tod durch Covid verhindern. Das aber heißt letztlich nichts anderes als: den Tod verhindern. Wir können jedoch den Tod nicht verhindern. Nur aufschieben. Und um auch nur die geringste Zeitspanne herauszuschlagen wird die Gesundheit der Menschen nun anderweitig aufs Spiel gesetzt. Es gibt keine Psychohygiene mehr, nur noch Hygiene für den Körper. Wer um Erklärung von Regierungsmaßnahmen bittet, ist ein Leugner und Staatsfeind. Wer sich brav ins Raster fügt, ein Patriot. Die Welt ist in Schwarz und Weiß zerfallen. Es gibt keine Schattierungen mehr. Und Farben schon gar nicht. Daran wird die Welt jedoch letztlich zerbrechen, aber auch solche Gedanken sind verboten und gehören denunziert.

Der Holocaust ist eine Bürde, die wir – solange die Geschichte besteht – zu tragen haben. Auch hier kann man mit Zahlen um sich schmeißen, wird dadurch aber dem Eigentlichen nicht einmal annähernd gerecht. Es ist die Systematik mit der Menschen unmenschlich behandelt und grausam umgebracht worden sind. Es ist die Tatsache, dass andere dies für völlig legitim und normal erachtet haben. Leben wurde in würdig und unwürdig eingeteilt und der Mensch hat sich damit eine Macht gegeben, die ihm nicht, die ihm niemals, unter keinen Umständen, zusteht.

Ich weiß, ich werde für Aufschrei sorgen, wenn ich behaupte, wir tun es schon wieder. Nein, ich vergleiche die Shoa nicht mit einer Pandemie. Die systematische Vernichtung menschlichen Lebens ist mit NICHTS zu vergleichen! Aber die überhebliche Vorgehensweise angesichts dessen, was andere für würdig und unwürdig erachten, sehr wohl. Es ist unwürdig geworden, an Covid zu erkranken und noch unwürdiger, daran zu sterben. Menschen deswegen zu isolieren und von allem abzuschneiden, was Leben lebenswert macht, scheint hingegen derzeit die einzig würdige Vorgehensweise. Dabei wird vergessen: Leben ist weit mehr, als zu atmen und einen Puls zu haben. Leben beinhaltet eine gewisse Qualität. Doch im Wahn, das Unvermeidliche nicht nur hinauszuzögern, sondern sogar verhindern zu können, haben wir alles andere restlos untergeordnet. Um Leben zu schützen wird Leben verhindert. Das ist ein Paradoxon der allerersten Güte.

Wenn ich nicht ins Restaurant gehen kann, dann ist das ein wahrhaft vernachlässigbares Problemchen. Wenn Wirte ihre Restaurants geschlossen halten müssen und damit an den Rand ihrer Existenz und ihres Überlebens getrieben werden, dann ist das durchaus genauso lebensbedrohlich wie das Virus, wenn nicht sogar noch bedrohlicher! Doch auch hier fehlt mittlerweile jedwede Relation.

Hätte Anne überlebt, würde sie heuer 92 Jahre alt werden. Und sie würde wieder eingesperrt sein. Ich frage ich: Was würde sie wohl schreiben? Wie groß wäre wohl ihre Angst, an Covid zu sterben, wo sie doch die Fratze des Todes noch viel grässlicher, hämischer und erbarmungsloser erinnern kann? Was würde sie wohl zu all den Verboten sagen, die publik gemacht sind, wo sie selbst ab einer gewissen Zeit ihrer Kindheit nicht einmal mehr ein Fahrrad besitzen durfte, nur weil sie Jüdin war?

Und was würde sie empfinden angesichts dessen, dass Regierungen ihren Bürgerinnen und Bürgern vorrechnen, unter welchen Umständen das Sterben ein zulässiger und würdiger Vorgang ist und unter welchen es unzulässig und unwürdig erscheint?

Leid hat viele Facetten und es ist von unterschiedlicher Qualität. Doch allein auf die Quantität von Leid und Tod zu verweisen, wird dem Eigentlichen niemals gerecht. Es wird Zeit, dass wir uns davon wieder lösen! Dass wir uns von der irren Vorstellung lösen, Leid anhand von Zahlen messbar zu machen und den Tod dadurch zu verhindern, dass wir das Leben als solches in den Boden stampfen: Indem wir alte Menschen der Einsamkeit überlassen; indem wir Pflegekräfte körperlich und seelisch zu Grunde richten; indem wir unsere Kinder in die Dissozialität verdammen; und indem wir Menschen ohne Reue ihrer Lebensgrundlage berauben, sie stattdessen mit Almosen abspeisen und dann so tun, als hätten wir die Welt gerettet.

Gott ist der einzige, der die Welt retten kann.
Er ist der einzige, der über Leben und Tod entscheidet.
Er ist der einzige, der Unrecht sühnt.
Er ist der einzige, der heilt, was durch uns zerbrochen wird.

Ich lade ein zum Gebet:

Gott, nicht die Welt ist grausam, wir sind es.
Wir wähnen uns im Recht und tun einander dadurch Unrecht an.
Wir wollen das Leben schützen und gefährden es dadurch; weil wir es sein wollen, die bestimmen, wann Leben wertvoll ist und wann nicht.
Wir wollen Menschlichkeit zeigen und greifen dafür auch zu unmenschlichen Mitteln.
Herr, uns fehlt die Demut,
uns fehlt die Relation.

Wir denken heute an die Fehler der Vergangenheit. An die große Unmenschlichkeit, an das Unrecht, an die Überheblichkeit mit der wir uns zu den Herren über Leben und Tod aufgespielt haben.
Wir denken an das Leid, das dadurch entstanden ist.

Wir denken an den Tod, der soviel Leben ausgelöscht hat, und das völlig unsinniger Weise.
Wir gestehen uns ein, dass diese Spuren der Geschichte uns verfolgen werden, bis die Zeit an ihr Ende gelangt ist.

Wir bitten um dein Erbarmen. Es lässt sich nicht ungeschehen machen, was in der Vergangenheit liegt. Wir können nur dafür beten und hoffen, dass Fehler nicht wiederholt werden; dass wir uns nicht erneut dem Wahn hingeben, dass wir es sind, die bestimmen, wann und wie Leben lebenswert ist.

Herr, unser Gott – erbarme dich unser. Christus – erbarme dich unser.
Herr – erbarme dich unser.

Gott-Vater, Sohn und Hl. Geist sei unseren armen Seelen gnädig. Amen.

26 January 2021
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