Liebe Gemeinde!
seit wenigen Tagen ist nichts mehr wie zuvor und es fühlt sich – für mich zumindest – bereits wie eine Ewigkeit an, dass nichts mehr der Normalität entspricht.
Über die Maßnahmen der Bundesregierung mag jeder denken, was er will – ich halte sie für sinnvoll. Dazu sind die gewählten Vertreter-Innen eines Staates schließlich beauftragt, ihr Volk sicher durch eine solche Zeit zu leiten.
Dass auch unsere Gottesdienstkultur davon betroffen ist, mögen wir bedauerlich finden: Fakt ist, gerade als Kirche müssen wir auf die Schwächsten unter uns Rücksicht nehmen! Das ist unsere diakonische Aufgabe und Pflicht. Daher sind wir der Aufforderung der Bundesregierung schweren Herzens nachgekommen.
Krisenzeiten machen Angst, denn sie verunsichern uns Menschen zutiefst. Die Angst betrifft weniger die Ursache (den Virus), sondern mehr dessen Auswirkungen auf unser alltägliches Leben und unsere Zukunft: Wann wird es vorbei sein? Wie viel an persönlicher Freiheit werde ich verlieren? Werde ich je wieder ganz sicher sein können?
Diese Fragen treiben mit unter etliche auch unserer Gemeindeglieder derzeit um.
Wir müssen reagieren.
Ob das alles eine Strafe Gottes ist, auch diese Frage könnte jetzt gerade sehr laut geworden sein.
Ich sage euch: NEIN. Ein klares und entschiedenes Nein. Unser himmlischer Vater ist kein Gott, der straft. Sehr wohl aber, davon bin ich selbst überzeugt, ist er ein Gott, der prüft.
Ich glaube fest daran, dass Gott uns Menschen in jeder Generation prüft. Diese Prüfung dient der Neuausrichtung unserer Werte. Und so sehe ich diese Krise als Prüfung, die uns auferlegt ist, um achtsam zu schauen, ob wir als Menschengemeinschaft und als Christengemeinschaft noch auf Gottes Kurs sind.
In einer globalisierten Gesellschaft ist die Welt sehr klein geworden. Was uns Ende des vergangenen Jahres kaum berührt hat – der Corona-Ausbruch in China – ist nun auch Teil unserer unmittelbaren Realität geworden und bestätigt, dass die Welt deutlich kleiner und engmaschiger geworden ist. Was uns vor 50 oder 60 Jahren vielleicht tatsächlich nur über die Medien erreicht hätte, kann uns in dieser Zeit immer und überall wieder auch voll und ganz persönlich treffen.
Es erscheint beinahe wie eine Ironie des Lebens, dass wir im christlichen Europa mitten in der Passionszeitdavon getroffen und betroffen werden.
In diesem Jahr können wir uns der Passionszeitnicht mehr entziehen. Diesmal müssen wir sie mittragen.
Passion,das bedeutet nicht nur Leid und Schmerz, Passionbedeutet auch Verzicht und Einschränkung. Aber, ebenso sehr bedeutet es Achtsamkeit und Chance – die Chance unsere Werte zu überdenken und uns selbst neu auszurichten. Im Großen wie im Kleinen.
Wo zuvor der Heißhunger auf Osterleckereien und Genussmittel vorherrschend war, kehren die Menschen nun schlagartig zu den Grundnahrungsmitteln zurück.
Wo zuvor noch der Nervenkitzel gesucht wurde, sehnen wir uns jetzt wieder vermehrt nach Sicherheit.
Ich rechne damit, dass nun auch erneut Menschen, die sonst nie oder nur sporadisch eins, zweimal im Jahr die Nähe der Kirche gesucht haben, sich an uns wenden werden. Das ist kein Frevel; Gott ist es schon lange gewöhnt, dass er für viele seiner Kinder als „letzter Strohhalm“ in einer Notlage dient und er hat sich offen damit einverstanden erklärt.
Die Frage ist daher nun, wie wir auf diese potentielle Sehnsucht der Menschen reagieren. Ich sage es euch gleich und in aller Schärfe: Wenn wir in dieser Zeit der Prüfung und Verunsicherung, die Chance nicht ergreifen und nicht für diejenigen da sind, über die wir uns sonst immer beklagen, dass sie nicht auftauchen, so brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir sie in Zeiten der Sicherheit nicht zu Gesicht bekommen!
Ich bitte euch, als Pfarrerin und mehr noch, als eure Schwester in Christus, eure Gemeinde dabei zu unterstützen, für diejenigen da zu sein, die uns jetzt brauchen, ohne ihr sonstiges, vielleicht fehlendes Engagement zu bewerten und ohne eine Gegenleistung von ihnen zu erwarten oder gar einzufordern.
Gerade als Christinnen und Christen leben wir eine Solidargemeinschaft, die über die konventionelle Fürsorge weit hinaus geht.
Diese Zeit ist eine Zeit der Prüfung. Und ich bleibe dabei, diese Prüfung ist Gottes Werk.
Nun mag sicherlich, gerade in unseren Reihen manch einer oder eine denken: Ich bin doch bereits geprüft worden, habe einen Krieg oder seine Folgen miterlebt.
Ich möchte diesen Personen sagen, dass sie nicht geprüft werden, sondern vielmehr Teil der Prüfung einer jüngeren Generation – meiner Generation – sind.
Denn diese Prüfung sieht vor, dass wir nun, mehr denn je, auf die unter uns achten, die besonders gefährdet sind. Sei es, weil sie ein bestimmtes Alter erreicht haben, an Grunderkrankungen leiden, oder sich anderweitig nicht mehr einer so robusten Gesundheit erfreuen.
Meine Generation hat die Aufgabe, diese Menschen so gut es geht zu schützen, auch vor sich selbst. Darum haben wir unsere Gottesdienste ausgesetzt, darum sind Gruppen und Kreise gebeten, sich nicht mehr in unserer Pfarre zu treffen.
Meine Generation hat überdies die Aufgabe, die kommenden Generationen vorzubereiten, denn das, was heuer geschehen ist und die ganze Welt gefangen nimmt, kann wieder passieren. Darum müssen wir hieraus lernen, damit künftige Generationen schneller und zielgerichteter Entscheidungen treffen können, als wir es vielleicht mit unter getan haben.
Sofern wir aneinander und an Gott festhalten, werden wir diese Prüfung meistern, wie auch unsere Vorfahren die ihrigen gemeistert haben.
Als Trost und Zurüstung diene uns das Gebet, das wir auch den Menschen in Aussicht stellen möchten.
Sehen wir diese Krise als Chance! Sehen wir diese Prüfung als Chance und nicht als Defizit! Wir haben als Menschen die wundervolle Eigenschaft von Gott mitbekommen, uns zu verändern.
Wir müssen jetzt einsehen, dass wir nicht alles in Händen haben – das lehrt Demut!
Wir müssen erkennen, dass auch unser Wohlergehen von höheren Mächten abhängig ist – das lehrt Dankbarkeit!
Wir müssen begreifen, dass unser Leben doch nicht ganz uns selbst gehört, sondern in Gottes Hand liegt – das lehrt Glauben!
Wir müssen uns nun ernstlich fragen, wie viel wir von all dem noch bewusst gelebt haben?
Doch wir können und werden es schaffen, zurück zu den wirklich wichtigen Dingen zu finden.
Gott hat uns Menschen das Privileg gegeben, diese Welt mitzugestalten. Von Zeit zu Zeit jedoch, vergessen wir darüber unsere Verantwortung und werden übermütig. Dieser Übermut lässt uns glauben, Gott nicht zu brauchen, auch nicht einander und er verleitet uns zu dem folgenschweren Irrtum, dass wir aus uns selbst heraus leben und selig werden können.
Die ganze Bibel hindurch können wir lesen, wie Menschen diesem Übermut anheim gefallen sind, und wie Gott sie durch eine Prüfung wieder auf den rechten Weg gebracht hat. Würden wir dieses Buch heute noch fortschreiben, so würde dieses Jahrhundertereignis, als das es zweifelsohne in unser kollektives Gedächtnis eingehen wird, mit Sicherheit darin aufgenommen, als weiteres Beispiel für nachfolgende Menschengenerationen, auf welche Weise Gott Geschichte schreibt.
Ich bete für uns alle, dass wir dieses Jahr nie wieder vergessen werden und dass uns dieses Ereignis für alle Zeit und weltumspannend in Erinnerung bleibt.
Denn dann haben wir die sich uns bietende Chance nicht vertan und können gestärkt und voller Hoffnung in die Zukunft blicken.
Möge Gott, unser Vater,
unser Herr und Erlöser Jesus Christus
stets durch seinen Geist der Heiligkeit mit uns sein.
Amen.
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